István Sándorfi
im MEAM
István Sándorfi
im MEAM
Die besten
Ausstellungen in BCN 2016 (Teil 5)
István Sándorfi. Retrospektive
Ausstellung im MEAM
September – November 2016
Ich weiß, ich weiß – du denkst jetzt sicher: „Schon wieder das MEAM?!“ Aber ich habe sicher schon das ein oder andere Mal erwähnt, dass es mein persönliches Lieblingsmuseum ist! Deswegen gehe ich auch zu wirklich JEDER Ausstellung und da sie mir wirklich immer gefallen, schreibe ich auch darüber!
Diesmal hatte ich außerdem das große Vergnügen vom Direktor José Manuel Infiesta persönlich und ganz exklusiv durch die Ausstellung geführt zu werden – da muss ich doch drüber berichten!
István Sándorfi
Hyperrealismus pur
Wer ist István Sándorfi überhaupt?
Unter Künstlern ist er wohl bekannt (sein Facebookprofil hat immerhin fast 25.000 Fans), aber ich kannte ihn nicht. Das ist bei meinen MEAM Besuchen aber irgendwie immer so – ich lerne jedes Mal dazu!
István Sándorfi: Er wurde 1948 in Ungarn geboren und flüchtete 1956 kurz vor dem ungarischen Volksaufstand erst nach Österreich, dann für 2 Jahre nach Deutschland, bis seine Familie schließlich 1958 in Frankreich sesshaft wurde. István musste mit seinen 10 Jahren also viel durchmachen.
Das könnte ein Grund sein, warum er bereits mit 8 Jahren begann zu zeichnen – wollte er das Erlebte so verarbeiten? Mit 12 malte er bereits mit Ölfarben und studierte schließlich an zwei angesehen Kunstuniversitäten in Paris: die „École nationale supérieure des arts décoratifs“ und die „Ecole nationale supérieure des beaux-arts de Paris“.
Seine Malerei wird dem Hyperrealismus zugeschrieben, der eine Weiterentwicklung des Realismus ist. Dabei geht es nicht mehr um die exakte Nachbildung einer Sache/ eines Porträts, sondern um die Übersteigerung – um die überschärfte Realität. Dafür nutzt Sandorfi auch das Medium der Fotografie. Seine Arbeitsweise ist dabei sehr speziell – das werden wir uns gleich noch an ein paar Beispielen ansehen.
István, der sich in Frankreich auch Étienne nannte, verstarb leider an einer Krankheit im Jahr 2007.
Hyperealistische
Kunstwerke
István Sandorfi kann als zurückgezogen und etwas eigenwillig bezeichnet werden. Zumindest könnte man das meinen, wenn man sich etwas mit ihm und seinen Werken beschäftigt.
Er arbeitete zum einen immer nachts. Er wollte ungestört sein! Und so arbeitet er eben nachts und schlief am Tag. Deswegen haben gerade seine frühen Werke keinen Hintergrund. Alles verschwimmt, nichts ist greifbar – nur dunkel. In seiner letzten Schaffensphase ändert sich dies etwas: Man kann eine Wandstruktur erkennen und es gibt eine Lichtquelle, meist ein Fenster, durch das die Sonne scheint.
Ein weiterer eigenwilliger Punkt ist, dass er nie mit Modellen arbeitete. Er fotografierte vielmehr sich, seine Frau und seine Kinder und nahm die Fotografien dann als Vorlage.
Hier sieht man zum Beispiel zwei seiner ersten Werke: wie er sterbend in einem Krankenbett liegt. Oder seine Tochter Ange mit einer Möwe auf dem Schoß.
Auch manche seiner Selbstporträts sind sehr eigenwillig: immer hat er einen Gegenstand an oder auf dem Kopf. Das können zum Beispiel Schuhe, Unterhosen oder Servietten sein. Zugegeben: Diese Serie war nicht so ganz meins…
Manchmal kombinierte er mehrere Porträt-Fotografien unterschiedlichster Positionen und Ausdrücken in einem Gemälde. Es handelt sich hier also um 5 Selbstporträts, die er vereinte. Das machte seine Einstufung in den Hyperrealismus wohl mit aus. In diesem Beispiel kombiniert er das ganze noch mit Wattestäbchen.
Auch das war für mich wieder grenzwertig. Ohne diese Wattestäbchen wäre das Werk für mich ein sehr ergreifendes gewesen, das Schmerz und Angst verdeutlicht.
Aber er kann auch anders…. In seiner späteren Phase werden die Gemälde etwas heller, weniger verschwommen. Man kann Gegenstände und einen Raum erkennen. Es gibt eine Lichtquelle und andere Modelle! Öffnete er sich vielleicht etwas mehr der Welt?
Istvan Sandorfi hat aber nicht nur Porträts gemalt, in seinem Leben entstanden auch sehr viele Stillleben. Der Direktor des MEAMs sagte mir, dass er im Prinzip noch eine reine Stilllebenaustellung Sandorfis eröffnen könnte. Denn es befänden sich noch viele Stillleben und auch andere Werke im Depot!
Das untere rechte Bild zeigt sein letztes Werk, seinen Arbeitsstuhl und weitere persönliche Gegenstände im letzten Raum der Ausstellung. Und hier seht ihr ein weiteres immer wiederkehrendes Thema: Das Gemälde zeigt eine abgemalte alte Fotografie einer Familie. Er kombinierte diese alten Familienporträts mit aktuellen Porträts seiner Kinder oder Frau. Die Botschaft: wir sind die Essenz unsere Vorfahren. Sie leben in uns weiter.
Fazit
Mit dieser Ausstellung kann man einen Künstler kennenlernen, den man so vielleicht noch nicht in einem anderen Museum gesehen hat. Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt. Eine Welt der Dunkelheit, des Schmerzens und auch der – naja – Verrücktheit, wenn man an die Q-Tipps denkt. Und das MEAM hat diese Retrospektive wieder einmal sehr geschmackvoll präsentiert.
Ein schönes Zitat Sándorfis noch zum Ende:
Er sagte immer zu seinen Kindern: „Ich liebe euch heute mehr als gestern, aber weniger, als ich euch morgen lieben werde.“ („I love you today more than yesterday, but much less than tomorrow…“)
Ein Tipp noch: gehe ruhig einmal auf die Toilette. In einer findest du Sandorfis Ehrung als Künstler durch den französischen Staat. Er hatte diese in seinem Haus auch auf der Toilette hängen – und hier sollte es nicht anders sein 😉
Text- und Bildrechte: © Céline Mülich 2016 – 2021