Musée d'Orsay
Edvard Munch
Musée d'Orsay
Edvard Munch
Ausstellung im Musée d'Orsay
Edvard Munch. Ein Gedicht über Leben, Liebe und Tod
Edvard Munch. Un poème de vie, d’amour et de mort
Ausstellung im Musée d’Orsay
noch bis zum 22. Januar 2023
In Kooperation mit dem Munch Museum in Oslo zeigt das Musée d’Orsay noch bis zum 22. Januar 2023 rund 100 Gemälde, Zeichnungen, Drucke und Gravuren von Edvard Munch (1863-1944). Die Kuratoren haben es sich zum Ziel gesetzt, das umfassende Werk von Munch über 60 Jahre hinweg „in seiner ganzen Komplexität“ darzustellen.
Und wir waren natürlich schon für euch vor Ort!
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Vorgeschichte
Der Titel der Ausstellung stammt aus einem Zitat von Munch. Diese entstand im Zuge seines Projekts „Der Fries des Lebens“, das seiner Aussage nach „ein Gedicht von Leben, Liebe und Tod“ ist. Er stellte in diesem seine Hauptwerke zusammen, wobei er die Kombination immer wieder änderte, wenn er das Gefühl hatte, nicht verstanden zu werden.
Insgesamt können bis zu 12 verschiedene „Friese“ identifiziert werden. Der Künstler will seine Werke im Zusammenhang verstanden wissen. Er schrieb: „In meiner Kunst habe ich versucht, mir das Leben und seinen Sinn zu erklären. Ich hatte auch die Absicht, anderen zu helfen, ihr eigenes Leben zu verstehen. Ich (…) arrangierte [meine Bilder] und hatte das Gefühl, dass einige inhaltlich miteinander verbunden waren. Wenn sie zusammen waren, gab es sofort eine Resonanz zwischen ihnen. […]. Es wurde zu einer Symphonie.“
Diesen Zusammenhang dem Betrachter zugänglich zu machen, war Munch extrem wichtig. Er wurde zum Kurator seiner eigenen Ausstellungen. Im Oktober 1892 stellt er beispielsweise im Verein Berliner Künstler aus. Das Publikum ist so schockiert, dass die Ausstellung nach einer Woche beendet wird. Die Presse bescheinigt ihm einen „hastigen Stil“ und nennt seine Werke „Unsinn“.
Für die darauffolgende Ausstellung in Kopenhagen bittet er nun darum, die Werke, die am meisten Aufsehen erregt hatten, besonders hervorzuheben. Außerdem veranlasst ihn die Rezeption dazu, nicht nur die Präsentation seiner Werke, sondern auch die Art, wie er sie schafft, zu überdenken: „Was ich jetzt tun werde, wird anders sein. Ich muss mich um mehr Kohärenz bemühen“.
Auch die Ausstellung im Musée d’Orsay ist ganz in diesem Sinn aufgebaut. Die Werke hängen nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern sind thematisch gegliedert.
So zeigt „Vom Intimen zum Symbolischen“ beispielsweise einige seiner Porträts von Freunden und Familie, wie „Sommernacht. Inger am Strand“, wo er eine seiner Schwestern in nachdenklicher Pose in einem weißen Kleid auf großen Felsbrocken am Ufer sitzend darstellt. Eigentlich sollte dieser Abschnitt „Vom Intimen zum Symbolischen und Zurück“ heißen, denn es ist gerade das Changieren zwischen dem Motiv und seiner symbolischen Bedeutung, das viele seiner Bilder ausmacht.
Was gibt es
zu sehen?
Die „Entdeckung der menschlichen Seele“ vereint drei Gemälde, in denen man noch heute nachvollziehen kann, warum sein Publikum in Berlin zum Ende des 19. Jahrhunderts, wie oben erwähnt, so geschockt reagierte.
„Pubertät“ (1894 – 1895) zeigt ein nacktes Mädchen im Teenager-Alter, der Schatten ihres Körpers an der Wand hinter ihr unnatürlich groß und dunkel, eine bedrohliche Gestalt.
„Das kranke Kind“ (hier von 1896, die erste Version entstand allerdings schon zehn Jahre früher) ist sicher geprägt durch seine eigene Lebenserfahrung. Als er fünf Jahre alt war, starb seine Mutter an Tuberkulose, später auch seine Schwester Sophie. Eine seiner anderen Schwestern, Laura, wurde als Erwachsene schwer psychisch krank und verbrachte den Rest ihres Lebens in einer Anstalt. Sein Bruder Andrea starb mit 25 an einer Lungenentzündung. „Krankheit, Wahnsinn und Tod waren dunkle Engel, die über meine Wiege wachten“, so beschrieb es Munch selbst.
Beide Bilder, genauer gesagt andere Versionen von diesen, konnten wir bereits Anfang des Jahres in einer Ausstellung in der Albertina in Wien bewundern 😉
Das dritte Bild, das in diesem Abschnitt zu sehen ist die „Verzweiflung“ von 1892. Es ist das erste Bild eines Zyklus, der auch „Der Schrei“ angehört. Munch selbst beschreibt es sogar als „erster Schrei“.
Die Gemälde teilen diese Aspekte: den roten Himmel, die geschwungenen Linien, die Diagonalen des Geländers.
Munch hält in „Verzweiflung“ ein Erlebnis fest, das wir heute wohl als Panikattacke bezeichnen würden. Er notiert dazu in seinem Notizbuch: „Ich ging mit zwei Freunden die Straße entlang. Die Sonne ging unter – der Himmel wurde blutrot. Ich fühlte eine Welle der Traurigkeit – ich hielt an, tödlich erschöpft – Über dem schwarzblauen Fjord und der Stadt loderten blutige, flammende Zungen. Meine Freunde gingen weiter – ich blieb zurück – bebend vor Angst – Ich fühlte den großen Schrei in der Natur.“
Von „Der Schrei“ ist eine Lithografie von 1895 zu sehen, der erste Druck den Munch von dem Motiv anfertigte, nachdem er 1894 die Kunst des Druckens erlernt hatte. Er ergänzte ihn durch Aquarellfarbe, eine Kombination, die er häufig anwendete.
Die Lithografie existiert in drei Variationen, das Gemälde in vier (zwei entstanden 1893, eine 1895 und eine 1910). Im Vergleich zu „Verzweiflung“ ist die Figur nicht mehr schemenhaft von der Seite zu sehen, sondern sie wendet ihr Gesicht dem Betrachter zu und steht im Mittelpunkt des Werks. Der Mann mit Hut wird zu einer geschlechtslosen Figur, die Person zu einer Allegorie der Furcht und des Entsetzens. Durch die Reduktion auf schwarze und einige wenige farbige Linien kommt die Botschaft noch stärker zum Ausdruck.
Interessant ist die deutsche Inschrift: „Geschrei. Ich fühlte das grosze Geschrei durch die Natur.“ Dies wurde von vielen so interpretiert, dass nicht die Person auf dem Bild schreit, sondern einen Schrei hört, auf den sie mit dem dargestellten, entsetzten Gesichtsausdruck reagiert.
Sowohl „Verzweiflung“ als auch „Der Schrei“ illustrieren sehr gut die Tatsache, dass Munch in der Darstellung der äußeren Natur ein Mittel zum Ausdruck des Innenlebens sah. „Ich male nicht, was ich sehe, sondern was ich gesehen habe“. Das bezieht sich nicht nur auf die Tatsache, dass er das Motiv selbst aus der Erinnerung auf die Leinwand brachte, sondern auch darauf, dass er die Assoziationen ausdrücken wollte, die eine Szene bei ihm ausgelöst hatte.
Das Werk „Vampir“ (1895) gehört ebenfalls zu seinem „Lebensfries“-Projekt. Ursprünglich hieß es „Liebe und Schmerz“. Munchs Freund, der polnische Schriftsteller Stanisław Przybyszewski, interpretierte es allerdings als Vampirin, die das Leben aus einem Mann saugt, was Munch übernahm und den Titel änderte.
Die roten Haare, die über das Gesicht des Mannes fließen, könnten auch tatsächlich diesen Eindruck erwecken, sie sehen aus wie Blutspuren. Andererseits hat das Motiv etwas sehr Intimes, Vertrautes, Tröstendes, Liebevolles. Hier haben wir es wieder, das Wechselspiel, das so kennzeichnend für Munchs Bilder ist.
Die Haare seiner Frauenfiguren hatten für Munch übrigens, wie man auf den Porträts im Raum, der mit „Wellen der Liebe“ betitelt ist, sehen kann, starken symbolischen Charakter. Sie standen für das Weibliche an sich und, auf die Beziehung bezogen, ebenso für Bindung wie für Trennung.
Der „Vampir“ beschäftigte ihn über 25 Jahre hinweg, in denen er 13 Versionen schuf. Die letzten, die in den Jahren 1916 bis 1918 entstanden, sind deutlich heller und freundlicher, wie seine Bilder insgesamt ab Beginn des 20. Jahrhunderts. Das mag etwas damit zu tun gehabt haben, dass er von 1916 bis zu seinem Tod in Ekely lebte und arbeitete, einem Außenbezirk von Oslo. Dort erwarb er eine ehemalige Gärtnerei mit einer Fläche von 40.000 qm. Er ließ sich mehrere Freiluftateliers einrichten. Seine Motive: Arbeiter, Blumen, Bäume, Gemüse – und eben deutlich hellere und freundlichere Variationen früherer Werke.
Dazu zählt auch „Der Kuss“. Im Musée d’Orsay ist eine Version von 1897 zu sehen, deren Farbgestaltung sehr dem „Vampir“ ähnelt. Gar noch enger sind die Liebenden hier verschmolzen, ihre Gesichter fließen ineinander. Die Haare der Frau sind interessanterweise, im Gegensatz zu denen des Mannes, so gut wie gar nicht zu sehen.
Begleitet wird es von einer Niederschrift Munchs in seinem Notizbuch aus der Zeit von 1830 bis 1835, also wesentlich später: „Der Kuss. Zwei brennende Lippen auf meinen. Himmel und Erde verschwanden. Und zwei dunkle Augen tauchten in die meinen.“
Ergänzt wird das Gemälde durch sechs Holzschnitte und Radierungen, teilweise koloriert, aus den Jahren 1895 bis 1902. Es ist die umfassendste Illustration, die die Ausstellung zeigt, für die Tatsache, dass er ein Motiv immer und immer wieder mit verschiedenen Techniken variierte.
Der letzte Abschnitt der Ausstellung „Inszenierung und Innenschau“ zeigt schließlich Bilder aus seiner letzten Schaffensperiode in Ekely. Dazu gehört „Selbstporträt“ (1940 bis 1943), in fröhlichen Farben, die im krassen Gegensatz zum Motiv, ihm selbst als alten Mann, fast schon Gerippe, stehen (mehr zu diesem Bild erfährst du hier).
Und…Überraschung…was macht denn ein Gemälde von van Gogh in einer Munch-Ausstellung?
Der erste Eindruck täuscht: obwohl es auch noch denselben Titel trägt, wie eines der bekanntesten Bilder des Niederländers, nämlich „Sternennacht“, stammt es tatsächlich von Munch selbst! Er malte es in den Jahren 1922 bis 1924. Inspiriert wurde er wohl schon 1885, als er ein Stipendium bekam, das es ihm ermöglichte, nach Paris zu gehen. Dort entdeckte er die Impressionisten und übernahm ihren zügigen Arbeitsstil und freien Farbauftrag.
Interessanterweise malte er bereits 1893 und 1901 Bilder mit diesem Titel, die aber van Goghs Gemälden viel weniger gleichen als dieses hier. Es vereint sogar Elemente beider Bilder von van Gogh, „Sternennacht“ und „Sternennacht über der Rhone“. Von ersterem übernimmt es die Silhouette des Baums und die Personen im Vordergrund – die bei Munch allerdings zu seinem dreifachen eigenen Schatten werden und die Romantik der Szene trüben, trotz rosa Himmel im Hintergrund und trotz der insgesamt eher hellen Farbgebung.
Im Vergleich mit letzterem sind die Ähnlichkeiten mit dem Sternenhimmel unverkennbar.
Fazit
Edvard Munch hat so viel mehr zu bieten als nur den „Schrei“. Ein ganzes Leben voller Poesie und Liebe, vereint und untrennbar verbunden mit den „dunklen Seiten“ des Daseins, mit Schmerz, Krankheit, Tod – und Wiedergeburt.
Dazu Munch selbst: „Wir sterben nicht – die Welt stirbt uns. Ich habe den Tod schon erlebt, als ich geboren wurde. Vor mir steht die eigentliche Geburt, die Tod genannt wird.“