Face to Face
im Oberen Belvedere
Face to Face
im Oberen Belvedere
Oberes Belvedere
Marc Quinn trifft auf Messerschmidt
Face to Face: Marc Quinn meets Franz Xaver Messerschmidt
Ausstellung im Oberen Belvedere
bis 3. Juli 2022
Auf diese Ausstellung habe ich mich gefreut! Und auch wenn es sich hierbei nur um 1,5 Räume im Oberen Belvedere handelt, ist sie absolut sehenswert.
Wer weder den einen noch den anderen Künstler kennt, dem sei vorab schon gesagt: ihr werdet euren Spaß haben! Die Ausstellung kostet nichts extra und befindet sich im Bereich der Dauerausstellung. Es gibt also nichts, dass euch davon abhalten könnte einmal vorbeizuschauen!
Und wer den einen oder sogar beide Künstler kennt, der wird sich sicher ohnehin aufmachen, um das „Spektakel“ nicht zu verpassen! Von Angesicht zu Angesicht…
Wer jetzt schon mehr wissen will: hier ist mein kleiner Bericht.
Oberes Belvedere
Ticket
Wer war
Franz Xaver Messerschmidt?
Die Köpfe Franz Xaver Messerschmidts (1736 – 1783) sind immer ein Publikumsmagnet – auch wenn es keine Ausstellung gibt. Denn sowohl für Groß und Klein ist es faszinierend, was man mit seinem Gesicht so alles machen kann – und „NACHMACHEN“ wird hier ganz großgeschrieben!
Wer war Messerschmidt aber? Er war ein Deutsch-österreichischer Bildhauer und arbeitete am Hof Maria Theresias (Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn). Deswegen gibt es neben der Serie von über 50 Charakterköpfe – für die er hauptsächlich bekannt ist – auch „normale“ Werk von ihm.
Wieso schuf er die Reihe der Charakterköpfe? Nun, das ist nicht genau bekannt. Er selbst nannte die Serie nur „Köpfe“, da es neben den überspitzten auch gewöhnliche Gesichtsausdrücke gab. Da wir uns in der Zeit der Aufklärung befinden, kann es sich also um eine einfache Studie handeln, bei der manche Köpfe einfach überspitzte Reaktionen zeigen. Denn die Aufklärung wollte durch rationales Denken den Fortschritt in Kunst, Naturwissenschaft und anderen Gebieten voranbringen. Er selbst hat sich für diese Serie im Spiegel beobachtet und andere Personen erschreckt, um diese Ausdrücke zu erhalten.
Die Behauptung, dass Messerschmidt eine psychische Erkrankung gehabt hatte, ist nicht haltbar.
Wer ist
Marc Quinn?
Marc Quinn wurde 1964 in London geboren, ist heute 57 Jahre alt und ein wichtiger zeitgenössischer Künstler.
Seit den frühen 1990er Jahren ist er in der Kunstszene ein Begriff – er gehörte zu den Young Britisch Artists (YBA) und war mit 30 schon berühmt! Er wollte zusammen mit anderen Künstlern, zeitgenössische Kunst neu definieren – sie erlebbarer machen! Deswegen macht er Kunst über die Menschen, über den Alltag, über die Beziehung zwischen Mensch und Natur, Identität und Schönheit und den Zwang der Veränderung. Dabei versucht er immer wieder den Weg zur Kunstgeschichte zu knüpfen, was ihm hier in Wien wunderbar gelungen ist.
Marc Quinn hat unter anderem eine riesige Skulptur in Seoul stehen und ist ganz aktuell mit seiner Serie HISTORYNOW (bis 23. Oktober 2022) in Venedig unterwegs. (Eine Anlehnung an die Ausstellung Archeaologie now von Hirst vielleicht, die damals in Rom zu sehen war? Quinn und Hirst waren einst Zimmergenossen…)
Und er ist eben auch mit seiner Figurenserie „Emotional Detox“ in Wien zu sehen. Diese Serie ist ein sehr privates Werk – würde ich sagen. Denn Quinn war alkoholsüchtig, musste einen Entzug mitmachen und erinnerte sich dann wieder an ein Werk Messerschmidts, dass er einmal im Victoria and Albert Museum gesehen hatte.
Messerschmidts Arbeit hat Quinn inspiriert, und die „Charakterköpfe“ haben die Entstehung von „Emotional Detox“ direkt beeinflusst. Er ist immer wieder in das Museum gegangen, um sich Messerschmidt anzusehen – so entstand die Idee seine Empfindungen zu der Zeit des Entzugs in die Mimik des Gesichts, aber auch mit dem Körper darzustellen. Er wollte mit der Alkoholsucht, bzw. dem Entzug klarkommen. Dieser psychische Entzug mit Schmerzen und allem Drum und Dran wird in der Serie wunderbar dargestellt.
Während des Entzugs konnte er ein Jahr nicht arbeiten und er sagt selbst: „The thing that got me back into making art was Messerschmidt because – I felt like conection to someone who was in the similar sitiuation that I was and had worked through it by making art!“
Das menschliche Ringen um Erkenntnis und Schmerzen ist also absolut zeitlos und war im 18. Jahrhundert genauso ein Thema wie heute.
„What always struck me about Messerschmidt is how powerful his works where, that shattert through the kind of shell of 18 Century formality…“
„Taking a broken life and turn it into something good“
Aber hatte Messerschmidt wirklich ein so gebrochenes Leben? Wenn es Quinn aber geholfen hat, mit seiner Sucht klarzukommen, hat es auf jeden Fall etwas Gutes!
Die Ausstellung
Face to Face
Es stehen sich in der Ausstellung immer zwei Skulpturen gegenüber: einem Kopf Messerschmidts wird ein Oberkörper Quinns gegenübergestellt. So kann man zwischen alter Schule und zeitgenössischer Kunst hin und her schauen. So werden Gefühle verglichen.
Quinns „Emotional Detox“ besteht aus sieben Skulpturen, die Teile seines Körpers zeigen. Sie sind aber zerstört, abgeschnitten und haben schmerzhaft wirkende Haltungen. Jede von ihnen hat eine kleine, quadratische Öffnungen auf der Brust. Diese haben Spuren von Kerzenwachs und wirken somit irgendwie sakral – als ob man dort sogar eine Reliquie einsetzen könnte.
Dem „Schaafkopf – Charakterkopf Nr. 17“ von Messerschmidt wird „Emotional Detox VII“ entgegengestellt. Der Kopf Messerschmidts hat zusammengepresste Lippen, hochgezogene Augenbraue und eine faltige Stirn. Ihm soll die Krankheit Dystonie anhängen – eine neurologische Bewegungsstörung, die unwillkürliche Muskelkontraktionen hervorruft.
Quinns Detox VII fasst sich mit beiden Händen in den Mund: wann macht man so etwas? Warum hat er ausgerechnet diese Handlung gewählt? Hat ihn der Schmerz dazu getrieben?
Der „Erhängter – Charakterkopf Nr. 25“ wird „Emotional Detox VI“ gegenübergestellt. Beide haben etwas Gewalttätiges. Der eine hat/wird (sich) erhängen – ein gewaltsamer Tod also. Und bei Quinn sieht es nach einer Schlägerei aus. Eine Hand hält Quinns Gesicht fest, während die andere einen Schlag gelandet hat…
Der „Erzbösewicht – Charakterkopf Nr. 33“ sieht für mich persönlich nicht wie ein Erzbösewicht aus. Denn mit seinen zusammengepressten Lippen und geschlossenen Augen sieht es eher so aus, als ob er eher andere Probleme hätte, die man lieber privat halten möchte. 🙂
Quinns Figur stattdessen sieht so aus, als ob ein Bösewicht ihn angreift. Seine Arme gehen zum Hals, seine Hände liegen aber am Kopf, so als ob sie nicht zu ihm gehören. Wollen diese Hände ihm Böses tun oder zurückhalten?
Und schon wieder wird uns der Kopf Messerschmidts als „Ein düsterer finsterer Mann – Charakterkopf Nr. 34“ vorgestellt. Wieder haben wir hier zusammengepresste Lippen, eine gerunzelte Stirn, zusammengezogene Augenbrauen, mit geschlossenen Augen. Diesmal ist zusätzlich die Nase gerümpft.
Dafür hebt „Emotional Detox IV“ seinen Kopf von den Schultern. Hatte Quinn Angst seinen Kopf zu verlieren, wenn er mit dem Alkoholkonsum weitermacht?
Und zuletzt möchte ich euch noch den Kopf „Ein abgezerrter Alter mit Augenschmerzen – Charakterkopf Nr. 15“ zeigen. Wie bei den anderen Köpfen hat Messerschmidt diesem wieder die Augen geschlossen – mit aller Kraft, wie es scheint. Die Lippen sind aufeinander gepresst – ebenfalls so fest wie es geht. Das Gesicht zeigt Schmerzen. Ob diese von den Augen herrühren oder von einem anderen Körperteil ist nicht deutlich, aber wir akzeptieren die Benennung der Figur. 😉
„Emotional Detox I“ auf der anderen Seite hat die Augen zwar auch geschlossen, die Lippen aber leicht geöffnet. Aber auch hier sieht es nach Schmerzen und Unwohlsein aus. Wird er etwa gewürgt?
Fazit
Auch wenn ich über die Figuren Quinns nicht sehr viel herausfinden konnte, finde ich, die Gegenüberstellung mit Messerschmidt gelungen. Da ich ohnehin ein Messerschmidt-Fan bin, war es für mich absolut klar, dass ich die Ausstellung besuchen möchte. Quinn hatte ich – bis auf meinem Besuch in Seoul – noch nicht in einer Ausstellung gesehen. Er ist aber nicht zu Unrecht, ein berühmter Künstler unserer Zeit. Seine Figuren strahlen den Schmerz und die Entzugsqualen auf jeden Fall glaubhaft aus.
Wer also in Wien ist und das Obere Belvedere sowieso auf dem Plan hat, der sollte diese Ausstellung nicht verpassen!
Eure Céline
Text- und Bildrechte: © Céline Mülich, 2022